Gottes volle Zuwendung erfahren
Glaubensimpuls

Pastorin, Erwachsenenbildung

Unheimliches Geschehen
Mir ist als Kind diese Geschichte von der Verklärung Jesu immer etwas unheimlich vorgekommen ist. Da wird Jesus auf einmal ganz anders, völlig verändert, fast unwirklich. Seine Kleider werden weiß und glänzen, gerade so wie auf so manchen Jesusdarstellungen, die in meiner Familie als unerträglicher Kitsch abgetan wurden. Und nicht nur das. Da erscheinen auch Mose und Elia, die doch längst tot sind und ganz woanders hingehören in der Bibel. Was machen sie da auf einmal und reden dazu noch mit Jesus?
Das war keine Geschichte, die ich gut nachvollziehen konnte. Hier spürte ich nichts von der Nähe Gottes, die Jesus verkündet hat und die ich selbst spüren, greifen, mir vorstellen wollte. Nein, diese Geschichte lässt viele Spekulationen zu, sie bleibt nicht am Boden der Wirklichkeit, und da hat eine nüchterne, kirchlich gesehen von ihrem reformierten Umfeld geprägte Schweizerin so ihre liebe Mühe damit.
Die Beobachtung einer Verklärung
In Linz, der ersten Gemeinde, in der ich als Pastorin tätig war, habe ich eine Beobachtung gemacht, die mich den schwer verständlichen Begriff der „Verklärung“ hat besser verstehen lassen. Zur großen diakonischen Einrichtung Diakonie Zentrum Spattstraße, die in der Trägerschaft unserer Kirche steht, gehört auch in integrativ geführter Kindergarten. Vor gut zwanzig Jahren haben die Gruppen dieses Kindergartens ihr Martinsfest jeweils in den Räumen der Kirche gefeiert, für die ich als Pastorin zuständig war.
Bei diesem Martinsfest habe ich eine der Kindergärtnerinnen — heute sind das Elementarpädagoginnen — beobachtet, wie sie mit einem ihrer Schützlinge umgegangen ist. Alle Kinder — solche mit Einschränkungen und solche ohne — sollten zu einem Lied einige Bewegungen ausführen. Eines der Kinder war durch seine Behinderung in seinen Bewegungen deutlich verlangsamt. Es konnte nicht mit den anderen Kindern mithalten. Doch die Kindergärtnerin strahlte es an, lächelte ihm zu, ermunterte das Kind und führte mit ihm zusammen die Bewegungen aus. Ob behindert oder nicht: Sie war der festen Überzeugung, dass dieses Kind genauso mitmachen und dabei sein kann wie die anderen.
Dann war eine deutliche Veränderung bei diesem Kind zu sehen. Vorher eher apathisch und am Rand stehend, fühlte es sich nun ermutigt und gestärkt, mit den anderen mitzutun. Das liebevolle Gesicht, das Lächeln, die aufmunternde Begegnung ließ es jegliche Behinderung vergessen. Ich bin mir sicher, dass das Kind in diesem Moment, getragen von der Liebe, die es empfing, über sich hinausgewachsen ist und zu Dingen fähig geworden ist, die es sonst nicht tun konnte.
Gottes volle Zuwendung erfahren
Mit diesem Erlebnis im Hintergrund habe ich die Geschichte von der Verklärung Jesu damals ganz neu gelesen und neu verstanden. Dabei ist mir die Geschichte zu einem Gleichnis für meine Begegnungen mit Gott geworden. Auf dem Berg der Verklärung erfährt Jesus Gottes Liebe und Zuwendung. So wie diese Kindergärtnerin sich ganz dem Kind zugewendet hat, so wendet sich Gott Jesus ganz zu und lässt ihn seine Nähe und Gegenwart spüren. So wie bei diesem Kind etwas von der Freude und dem Zuspruch der Betreuerin sich auf das Kind übertragen hat, so überträgt sich Gottes Lichtglanz und Herrlichkeit auf Jesus und spiegelt sich auf seinem Gesicht wider.
Das ist jedoch nicht ein Privileg das allein Jesus gilt. Die Verwandlung durch Gottes Liebe, die kann an jedem Menschen geschehen. So ist es zu meiner Erfahrung geworden. Wenn ich mich ganz in Gottes Zuwendung und seine Liebe hingebe, so zieht das in meinem Leben Kreise. Wenn ich mich wie ein Kind von seiner Liebe bescheinen lasse, dann verändert das meine Person, mein Wesen. Und damit verändern sich auch meine Beziehungen, da beginnt etwas in meinem Leben zu leuchten und zu strahlen, was sich nicht mehr auslöschen lässt.
Gottes Ja zu uns Menschen
Auf dem Berg der Verklärung hört Jesus die Stimme aus der Wolke, die zu ihm spricht: „Das ist mein Sohn, ihn habe ich erwählt. Hört auf ihn!“ (V35) Hier erfährt er Bestätigung, erfährt er Gottes Ja zu seinem Leben und zu seinem Handeln. So wie die Kindergärtnerin mit ihrer zustimmenden Aufforderung dem Kind die Bewegungen und das Mittun entlockte, so ist Gottes Ja zu seinem Sohn die Bestätigung, die ihn zu seinem Handeln ermutigt, die ihn auch so manches anpacken lässt, bei dem er auf Widerstand gefasst sein muss.
Gott will auch uns mit seinem Ja ermutigen. Er sagt Ja zu uns, trotz unserer Fehler und Schwächen. Er sagt Ja zu uns, noch bevor wir etwas getan haben. Die Taufe ist ein Zeichen für dieses bedingungslose Ja Gottes. Gott ermutigt uns mit seinem vorausgehenden Ja in dem, was wir tun. Vielleicht habt ihr es selbst schon einmal bei euch beobachten können, dass ein Ja eines Menschen oder das Ja Gottes, euch so stärkt und ermutigt, dass ihr über euch selbst hinauswachsen könnt. Beflügelt von Gottes Geist und seiner Kraft habt ihr Dinge angepackt, die ihr euch nicht zugetraut hättet.
Eine Stärkung in schwierigen Zeiten
Auf die Geschichte der Verklärung Jesu hören wir in unserer Kirche jeweils am Sonntag vor dem Aschermittwoch. Es ist der letzte Sonntag vor dem Beginn der Fastenzeit. In dieser Zeit mit den vierzig Tagen bis Ostern (ohne die Sonntage) bereiten wir uns auf das Osterfest vor. Wir begleiten Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem, wo er am Kreuz sterben wird. Im Lukasevangelium steht vor der Geschichte der Verklärung ein Abschnitt, wo Jesus zum ersten Mal gegenüber seinen Jüngern von seinem Tod spricht. Dann steigt er auf den Berg der Verklärung und erfährt dort, dass ihm Gottes Liebe und sein Ja gelten, auch und gerade angesichts dessen, was ihn in Jerusalem erwarten wird.
Auch hier sehe ich eine Verbindung zu meiner Beobachtung beim Laternenfest in Linz. So wie die Kindergärtnerin sich dem Kind zugewendet und es aufgemuntert hat, ohne sich von seiner Behinderung beirren zu lassen, so ist auch das Wissen um das kommende Leiden kein Hinderungsgrund, Jesus die Zuwendung und das göttliche Ja zu entziehen. Nein, das göttliche Ja wird vielmehr mit der Auferstehung Jesu durch Gott bestätigt: Er steht gerade zu denen, die Schmach und Spott, Folter und Tod erleiden. Das kann auch uns stärken, wenn wir Leid und Diskriminierung erfahren: Gott sagt auch im Leiden zu uns Ja. Krankheit ist nicht ein Zeichen dafür von Gott verworfen zu sein. Nein, im Leiden kann Gottes Nähe spürbar, erfahrbar werden, manchmal vielleicht mehr als sonst.
Gottes Nähe suchen
Der Evangelist Lukas schildert uns, dass Jesus auf dem Berg der Verklärung betet. Das Gebet ist seine Möglichkeit, um Gottes Liebe und sein Ja anzunehmen: Im Moment des Gebets geht Gottes strahlender Glanz auf Jesus über. In der Haltung des Gebets nimmt er Bestätigung und Zuspruch entgegen. So wie für Jesus, so ist für manche Menschen das Gebet der Ort oder die Zeit, wo sie Gottes Nähe suchen und wo sie Gottes Zuwendung und Zuspruch zutiefst erfahren. Das Gebet ist eine Möglichkeit, gleichzeitig ganz bei sich selbst und ganz bei Gott zu sein. Es kann ein besonderer Moment der Gottesbegegnung werden.
Manche Menschen erleben diese Momente als etwas so Besonderes, dass sie so etwas immer wieder erleben möchten. Da spüren sie, dass Gott ihnen ganz nahe kommt, sodass etwas von diesem göttlichen Glanz auf sie übergeht. Es ist ein Höhepunkt, den sie möglichst lange und bleibend in den Alltag hinüberretten möchten. Doch wie schnell hat einen der Alltag wieder. Dann stehen wir nicht mehr auf dem Berg der Verklärung und sind mitten im Gebet, sondern es ist uns, als seien wir nie auf diesem Berg gewesen, als sei der Moment der Gottesbegegnung in weite Ferne gerückt. Die Erinnerung daran von allen möglichen Vorkommnissen zugeschüttet und nicht mehr wieder hervorrufen.
Kann man solche Momente verewigen?
Auch hier ist mir die Erzählung der Verklärung Jesu zu einem Gleichnisbild geworden. Der Wunsch, den Moment festzuhalten und in die spätere Zeit hinüber zu retten, zeigt sich für mich im Verhalten des Petrus. Den entscheidenden Moment hat er verschlafen. Er nimmt nur wahr, dass auf Jesu Angesicht ein Widerschein von Gottes Herrlichkeit zu sehen ist. Das will er für immer festhalten: „Meister, es ist gut, dass wir hier sind. Wir wollen drei Zelte aufschlagen: eins für dich, eins für Mose und eins für Elia.“ (V33) Es ist der Versuch des Petrus diesen Moment auf Dauer zu haben, mit einer Hütte zu behausen, dingfest, sesshaft zu machen.
Doch er wusste nicht, was er redete, heißt es dann. Ein Moment der Verklärung, er lässt sich weder festschreiben noch festhalten. Im Nu ist er vorbei und es gilt wieder, sich im Alltag zurechtzufinden. Mancher Wunsch, manche Sehnsucht, die wir in uns tragen zeugt davon, dass wir in ähnlicher Weise uns an etwas klammern, was sich nicht festhalten lässt. Unsere Angst vor dem Verlust ist größer als die Dankbarkeit für den Augenblick. Das Leben kann nicht immer nur Begegnung mit Gott sein. Es lebt vom Wechsel zwischen Annäherung und Distanz. So suchen wir stets von Neuem die Nähe Gottes, die Begegnung mit ihm.
Gipfelerlebnisse des Glaubens
In der Geschichte von der Verklärung Jesu habe ich noch ein letztes Gleichnisbild für die Begegnung mit Gott gefunden. Die Geschichte findet nicht in einer Ebene, nicht in einem Tal oder in einer Senke statt. Jesus musste erst auf einen Berg steigen. Wir wissen es, einen Berg zu besteigen, das erfordert Ausdauer und Disziplin, zumindest wenn man zu Fuß geht. Es geht nur langsam voran, Schritt für Schritt und es kostet manchen Tropfen Schweiß. Die Sehnsucht wächst, endlich oben zu sein und die Aussicht genießen zu können, einen Lohn für die Mühe zu haben.
Ähnlich ist es mit dem Gebet oder mit der Begegnung mit Gott. Es erfordert Ausdauer und Disziplin. Nicht jede Sehnsucht wird sofort gestillt. Nicht jedes Gebet wird sogleich erhört. Nicht jede Annäherung an Gott findet Erfüllung in einer tatsächlichen Begegnung. Doch wie beim Besteigen eines Berges leben wir von der Gewissheit, dass der Blick von da oben ein anderer sein wird. In der Begegnung mit Gott gewinnen wir eine neue Sicht auf das Leben.
Die Geschichte von der Verklärung Jesu ist eine Ermutigung für uns, im Gebet und in der bewussten Hinwendung zu Gott immer wieder die Begegnung mit ihm zu suchen. Wer sich seiner Liebe öffnet, wer Gottes Zuwendung und sein Ja für sich gelten lässt, macht die Erfahrung, dass der Glanz Gottes in eigenen Leben aufleuchtet, selbst in einem Leben, das von Leid und schwerer Zeit geprägt ist. Wer sich Gottes Ja gelten lässt, wird dankbar für die Momente, in denen er oder sie das ganz deutlich und bewusst spüren darf. Die Dankbarkeit überwiegt die Angst um den Verlust und die Dankbarkeit ermöglicht eine Erinnerung, die Zuversicht und Hoffnung schenkt. Amen.